Osteogenesis Imperfecta: die unheilbare Krankheit


Vielen Dank an das iGEM team Göttingen 2022
für die Übersetzung des Artikels ins Deutsche.


Viele Menschen dürften mit dem Begriff “Osteoporose” vertraut sein. Es handelt sich dabei um eine systemische Skeletterkrankung, die zum Abbau des Knochengewebes sowie zu einer geringen Knochenmasse führt, wodurch die Knochen brüchig werden und ein hohes Frakturrisiko besteht (1). Beim Hören dieses Begriffes, kommen bei Vielen Erinnerungen an ältere Menschen und alte Verwandte in den Sinn. In der Tat ist Osteoporose bei älteren Menschen häufiger anzutreffen und wird mit zunehmenden Alter immer üblicher (2). In diesem Blogbeitrag wollen wir uns jedoch nicht mit der allgemeinen Krankheit beschäftigen und uns stattdessen auf einen speziellen Zweig der Osteoporose konzentrieren: Osteogenesis imperfecta (OI), auch besser bekannt als die Glasknochenkrankheit.

Bei der Osteogenesis imperfecta handelt es sich um eine Gruppe seltener vererbbarer Bindegewebsstörungen, die meist mit einer übermäßigen Knochenbrüchigkeit einhergeht und durch Mutationen in den Genen für Kollagen verursacht wird (3). Erstmals wurde diese Gruppe an Krankheiten vom schwedischen Arzt Olof Jakob Ekman (6) beschrieben. Die Symptome sind vielseitig und reichen von Schwerhörigkeit, wiederkehrenden chronischen Bauchschmerzen und Verstopfung bis hin zu pulmonalen und kardiovaskulären Komplikationen.

So beängstigend es auch klingen mag, OI ist eine seltene genetische Erkrankung, von der nur einer von 15.000 bis 20.000 Menschen betroffen ist (4). Aufgrund der Variabilität und der Anzahl von Genen, die an der Krankheit beteiligt sind (es gibt 19 verschiedene Gene, die an einer OI beteiligt sein können), wird die Krankheit seit 2021 in 21 Arten unterteilt. Die Unterteilung findet anhand der genetischen Mutationen statt, die ein OI-Patient hat.

Die häufigsten Formen der OI sind die Typen I, II, III und IV, die in der nachstehenden Tabelle zusammengefasst sind (7):

TypBeschreibungscriptionGeneVererbungsmodusHäufigkeitence
IMild; Kollagenmenge ist unzureichendNull COL1A1 geneAutosomal dominant, 34% de novo51/30,000
IITödlich in der Perinatalperiode; Kollagen ist am C-Terminus stark beschädigtCOL1A2, COL1A2Autosomal dominant, ~100% de novo51/40,000
~ 1/100,000
IIISchwerwiegend, progressiv und deformierend; Kollagenmenge ist unzureichend und von geringer QualitätCOL1A1, COL1A2Autosomal dominant, 85% de novo51/60,000
IVVariabel und deformierend, aber üblicherweise mit normalen Skleren; Kollagenmenge ist ausreichend aber von geringer QualitätCOL1A1, COL1A2Autosomal dominant, 50% de novo51/30,000

Wichtig zu erwähnen ist, dass diese Krankheit, weder medikamentös noch durch eine Operation (8), heilbar ist. Die Möglichkeit der Genbearbeitung ist zudem noch nicht so weit fortgeschritten, als dass genetische Krankheiten wie diese geheilt werden können.

Es ist jedoch noch nicht alles verloren, denn es gibt viele im Handel erhältliche Medikamente, die Deformationen und Knochenbrüchen vorbeugen können. Die beiden am häufigsten dafür verwendeten Medikamentenklassen sind Bisphosphonate und monoklonale Antikörper.

Bisphosphonate sind eine Klasse von Medikamenten, die normalerweise zur Behandlung von Osteoporose eingesetzt werden.  Sie verlangsamen die Knochenresorption (9) und hindern die Osteoklasten daran, sich an der Knochenoberfläche festzusetzen. Es gibt jedoch einige dokumentierte Fälle, in denen Bisphosphonate eine Osteonekrose des Kiefers verursachen können, und neben Knochen-, Gelenk- und/oder Muskelschmerzen das Medikament auch die Nierenfunktion beeinträchtigen (10).

Bevor wir uns mit der Antikörperbehandlung befassen, müssen wir zunächst den Wirkmechanismus des Antikörpers verstehen.

Beim Menschen gibt es zwei Arten spezialisierter Zellen, die die Knochenbildung und -resorption regulieren: Osteoblasten und Osteoklasten. Das Signalweg in normaler Osteoblasten (Diagramm links) beginnt, wenn ein Wnt-Protein an die N-terminale extrazelluläre Domäne eines Rezeptors der Frizzled (Fz)-Familie bindet (11). Zur Erleichterung des Signalprozesses sind neben dem Fz-Rezeptor möglicherweise weitere Co-Rezeptoren erforderlich, wie z. B. das Lipoprotein (LRP)-5/612. Nach der Aktivierung von LRP5/6 wird vom Fz-Rezeptor ein Signal an andere Phosphoproteine im Zellzytoplasma gesendet.

Normalerweise spaltet sich der Wnt-Signalweg an dieser Stelle in drei verschiedene Zweige auf. Der Weg, der uns hier am meisten beschäftigt, ist der kanonische Weg.  Er beinhaltet die Akkumulierung von β-Catenin, einem Protein mit doppelter Funktion welches in der Regulierung und Koordination der Gentranskription im Zytoplasma beteiligt ist.

Unter den meisten Umständen wird β-Catenin durch einen Komplex abgebaut, der aus Axin, PP2A, GSK-3 und der Kaseinkinase 1α besteht. Sobald Wnt jedoch Fz und LRP5/6 bindet, wird der Komplex für den Abbau gestört, da Axin an LRP5/6 bindet und dephosphoryliert wird. Andere Phosphoproteine im Zytoplasma hemmen zudem ebenfalls die GSK3-Aktivität. Dadurch kann β‑Catenin akkumulieren und sich im Zellkern ansiedeln und mithilfe der Transkriptionsfaktoren TCF/LEF (T-cell factor/lymphoid enhancing factor) wird eine zelluläre Reaktion (13) ausgelöst. In Osteoblasten führt dies letztlich zu einer verstärkten Knochenbildung.

Probleme entstehen, wenn Sclerostin, ein Glykoprotein das beim Menschen vom SOST-Gen kodiert wird, an LRP5/6-Rezeptoren bindet und diesen Prozess stört (14). Sclerostin wird in Osteozyten exprimiert und hemmt die Knochenbildung durch Osteoblasten. Sobald LRP5/6 durch Sclerostin inaktiviert ist, kann der Signalweg nicht mehr weitergehen und es kommt zu einem Rückgang der β‑Catenin-Konzentrationen im Osteoblasten, wodurch die Knochenbildung verringert wird.

Obwohl die Osteoblastenaktivität selbst durch ein negatives Rückkopplungssystem durch Sklerostin sowie eine ganze Reihe anderer Hormone und hemmender Faktoren reguliert wird, ist bei OI‑Patienten eine verringerte Osteoblastenaktivität durch die Wirkung von Sklerostin oft die Ursache für eine unzureichende oder wenig bis gar keine COL1A1/2-Genexpression in den Osteoblasten, was schließlich zur OI führt.

Es muss jedoch betont werden, dass Sklerostin kein “böses” Protein an sich ist; es dient lediglich als Regulator für die Osteoblastenaktivität. Wenn das SOST-Gen, das für die Kodierung von Sklerostin verantwortlich ist, mutiert, können die van-Buchem-Krankheit und Sklerosteose-Erkrankungen entstehen (15).

Der zuvor bereits erwähnte Antikörper für eine Antikörperbehandlung heißt Romosozumab (16) (vertrieben unter dem Markennamen Evenity). In klinischen Versuchen bindet der Antikörper an Sklerostin und inaktiviert das Protein, was zu einer Steigerung der Osteoblastenaktivität über den oben beschriebenen kanonischen Wnt-Signalweg führt.

Allerdings führte der Antikörper in den klinischen Studien der Phase III auch zu schweren ischämischen Ereignissen am Herzen.

Aufgrund des extrem hohen Risikos von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Todesfällen durch Herz‑Kreislauf‑Erkrankungen (16) wurde das Medikament mehrmals von der US-amerikanischen Food and Drug Administration und der Europäischen Arzneimittelagentur abgelehnt. Obwohl das Medikament schließlich von beiden Institutionen zugelassen wurde (16, 17), ist die schwere Beantragung der Marktzulassung des Medikaments für postmenopausale Osteoporose ein Beweis dafür, wie schwierig es ist, Hochrisikomedikamente zuzulassen.

Wie eine dänische Studie aus dem Jahr 2016 gezeigt hat (18), sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei vielen Patienten mit Osteoporose bereits eine häufige Begleiterscheinung.

Wenn man die Nebenwirkungen der derzeit verfügbaren Behandlungen bedenkt, wird klar, warum die Entwicklung eines neuen Sklerostin-Inhibitors zur Behandlung der Osteogenesis imperfecta, ohne dabei das Risiko der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erhöhen, dringend nötig ist. Bei der Behandlung mit Sklerostin-Antikörpern gibt es zudem auch eine erhöhte Besorgnis hingehend der kardiovaskulären Belastung, insbesondere bei OI-Patienten mit kardiovaskulären Anomalien oder mit kardiovaskulären Erkrankungen in der Vorgeschichte.

Das iGEM-Team HKBU 2021 hat bereits ein Aptamer als alternativen Sklerostin-Inhibitor entwickelt, der Sklerostin selektiv so hemmt, dass seine Fähigkeit an LRP5/6-Rezeptoren zu binden inaktiviert wird während gleichzeitig die Funktion von Sklerostin als kardiovaskulärer Regulator im menschlichen Körper erhalten bleibt. Der Aptamer hat die Orphan Drug Designation der US Arzneimittelbehörde FDA erhalten.

Referenzen

1 NIAMS, 2014. “Handout on health: Osteoporosis”.

2 World Health Organization, 2015. “Chronic rheumatic conditions”.

3 B.O. Edelu et al., 2014. “Osteogenesis Imperfecta: A Case Report and Review of Literature”.

4 Forlino A, Marini JC (April 2016). “Osteogenesis imperfecta”.

5 Zhytnik L et al., 2019. “De novo and inherited pathogenic variants in collagen-related osteogenesis imperfecta”.

6 O. J. Ekman, 1788. “Descriptionem et casus aliquot osteomalaciae sistens”.

7 Sillence et al., 1979. “Genetic heterogeneity in osteogenesis imperfecta”.

8 B. Lee, D. Krakow, 2019. “Osteogenesis Imperfecta Overview”.

G.A. Rodan, H.A. Fleisch, 1996. “Bisphosphonates: mechanisms of action”.

10  S. Durham et al., 2010. “Bisphosphonate Nephrotoxicity Risks and Use in CKD Patients”.

11 T.P. Rao, M. Kühl, 2010 June. “An updated overview on Wnt signaling pathways: a prelude for more”.

12  Y. Komiya Y, R. Habas, 2008 April. “Wnt signal transduction pathways”,

13 B.T. MacDonald, K. Tamai, X. He, 2009 July. “Wnt/beta-catenin signaling: components, mechanisms, and diseases”.

14 X. Li, Y, Zhang, H, Kang, W. Liu, P. Liu, J. Zhang J, et al, 2005 May. “Sclerostin binds to LRP5/6 and antagonizes canonical Wnt signaling”.

15 R. L. Van Bezooijen et al., 2005. “Control of bone formation by osteocytes? Lessons from the rare skeletal disorders sclerosteosis and van Buchem disease”.

16 U.S. Food and Drug Administration, 2019 April. “FDA approves new treatment for osteoporosis in postmenopausal women at high risk of fracture”.

17 European Medicines Agency, 2020 Feb. “Evenity”.

18 L. Folkestad et al., 2016 Sept. “Cardiovascular disease in patients with osteogenesis imperfecta – a nationwide, register-based cohort study”.19 AMGEN, 2016 Nov. “Results From Phase 3 BRIDGE Study Show Romosozumab Significantly Increases Bone Mineral Density In Men With Osteoporosis”

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